Diesmal wird´s hier in Bartos Blog etwas persönlicher. Und politischer.
Es geht um ACTA. Vier Buchstaben, über deren Sinn und Unsinn derzeit viel gestritten wird. Naja, nicht wirklich um die Buchtstabden, sondern darum was dahinter steht. „ACTA“ steht für Anti-Counterfeiting Trade Agreement, zu deutsch in etwa „Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen“. Was ist nun davon zu halten?
Nun, „Produktpiraterie“ ist ja erst einmal eine doofe Sache. Da macht sich jemand Gedanken, entwirft ein Produkt, feilt daran bis es serienreif ist und Qualitätsmaßstäben genügt. Dann sucht er sich Vertriebswege und will dadurch neben Ruhm und Ehre natürlich auch ein paar Euro (oder auch mehr) verdienen. Und dann kommen da böse Menschen daher, machen sein Produkt, zum Beispiel eine schöne Armbanduhr, nach oder verteilen sein geistiges Eigentum, zum Beispiel Musikstücke, ohne dass der Fabrikant daran etwas verdient. Ist natürlich doof. Findet so kaum jemand gut. Also, juhu, müssten doch alle für ein Abkommen sein, das weltweit Produktpiraterie im Internet verhindern soll? Sind sie aber nicht. Denn die Kritiker behaupten, der Begriff „ACTA“ sei Augenwischerei.
Letztendlich ginge es darum Internetkontrolle und -zensur global zu verankern. Ohne mit der Keule der „Lehre aus der deutschen Geschichte“ freundlich-drohend winken zu wollen, kann ich doch sagen, dass der Begriff „Zensur“ alleine bei mir sowohl ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend als auch einen latent hämmernden Schmerz hinter der Schläfe auslöst. Zensur, das ist etwas für nordkoreanische Diktatoren, russische Oligarchen oder islamistische Fundamentalisten. Nichts aber für westliche Demokratien, freiheitliche Bürgergesellschaften und für mich erst recht nichts.
Das Internetkollektiv „Anonymous“, das sich seit Jahren für die Freiheit im Internet und in anderen Teilen von Gesellschaften einsetzt, sieht „ACTA“ recht negativ, wie dieses und jenes Video zeigen – Echtheit vorrausgesetzt. „Anonymous“ geht Hand in Hand mit europa- und weltweiten Bürgerprotesten, die ein Abrücken ihrer Staaten von „ACTA“ fordern, da sie befürchten, dass eine Kontrolle des Netzes zu einem Meinungsmonopol Großindustrieller missbraucht werden könnte und schließlich nur noch solche Personen Zugriff auf world wide web hätten, die „ACTA“-konform handeln.
Innerhalb der EU war Polen einer der wenigen Staaten, der eine Ratifizierung von ACTA verschob. Auch das Auswärtige Amt in Berlin soll seine Anweisung zur Unterzeichnung zurück gezogen haben, einen Tag bevor bei europaweiten Protesten bis zu 200 000 Bürger gegen das Abkommen auf die Straße gingen.
Nun hat sich im Rahmen der Diskussion um „Stuttgart 21“ die Beschimpfung von Bürgern eingebürgert, die für ihre Meinung auf die Straße gehen – Verunglimpfungsbegriff „Wutbürger“. Aber können die wirklich alle daneben liegen? Und was sagen diejenigen dazu, die ich aus meinen Steuern Tag für Tag dafür bezahle, meine Interessen zu vertreten; was sagen die Mitglieder des Bundestages (MdB)?
Um das zu klären, habe ich den beiden Abgeordneten meines Wohnortes Herne,
Gerd Bollmann (64, SPD) und Ingrid Fischbach (55, CDU) drei Fragen zu „ACTA“ gestellt, die mir diese umgehend beantworteten. Zu meiner Freude haben sie dies auch getan, was mir zeigt, dass wir viel öfter unsere MdB in ihre persönliche Pflicht nehmen sollten. Dialog ist die Grundlage jeder Demokratie!
Ich gebe die Antworten im Folgenden ungekürzt wieder:
1) Worum geht es Ihrer Meinung nach bei ACTA?
Fischbach (CDU): Nach meiner Ansicht geht es darum, dass ACTA einen Schutz gegen Raubkopierer und Markenfälscher garantieren soll. Darunter fällt auch das geistige Eigentum im Internet, dieses soll künftig durch gemeinsame, staatenübergreifende Regelungen geschützt werden. Die bisherige Praxis, nämlich isolierte Regelungen in jedem einzelnen Land, hat sich angesichts des länderübergreifenden Charakters der neuen Medien als nicht zukunftsfähig erwiesen.
Bollmann (SPD): Bei ACTA handelt es sich um ein Übereinkommen mit dem die Durchsetzung internationaler Regelungen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen und Produktpiraterie erreicht werden soll. Die Notwendigkeit, Produktpiraterie zu bekämpfen und Urheberrechte zu schützen, ist unbestritten. Allerdings dürfen entsprechende Regelungen nicht dazu führen, dass Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt werden oder der Datenschutz aufgeweicht wird.
2) Sind Sie persönlich als Abgeordnete für oder gegen ACTA – die Haltung Ihrer Fraktion interessiert mich dabei wenig bis gar nicht?
Bollmann (SPD): Das Abkommen beinhaltet zwar keine Verpflichtung zur Überwachung von Netzwerken, es gibt aber massive Befürchtungen, dass die Internetanbieter dazu gedrängt werden könnten, mit den Rechteinhabern Vereinbarungen zu treffen, gegen Verstöße gegen Marken oder das Urheberrecht selber vorzugehen. Diese Bedenken und Befürchtungen werden von mir geteilt.
Fischbach (CDU): Ich bin für den Schutz des geistigen Eigentums, das Urheberrecht ermöglicht einer großen Anzahl von Künstlern in unserem Land, von ihrer kreativen Arbeit auch leben zu können. Das geistige Eigentum muss daher im Internet ebenso viel Schutz genießen wie der Eigentumsbegriff im Alltag, ein Diebstahl daran muss entsprechend geahndet werden können. Will die Mehrheit dies nicht, müssen wir uns grundlegende Gedanken über das Urheberrecht vor dem Hintergrund moderner Medien machen.
Weltweit demonstrieren Menschen gegen das Handelsabkommen (Quelle: kalamun / Flickr / CC-BY-SA)
3) Sehen Sie die Möglichkeit, dass ACTA zu einem Verstoß gegen Grundrechte genutzt werden kann?
Fischbach (CDU): Hier ist abzuwägen zwischen dem Schutz der Urheberrechte auf der einen Seite und den Rechten der Internetuser auf der anderen Seite. Die Freiheit des Users darf nicht dazu führen, dass das Eigentumsrecht des Urhebers verletzt wird, umgekehrt dürfen Meinungsfreiheit und das Recht auf ungehinderten Zugang zu Informationen nicht vom Urheberrecht unverhältnismäßig beschränkt werden. Nur bei einer gelungenen Abwägung dieser Rechtspositionen sind Einschränkungen der jeweiligen Grundrechte zwar möglich, diese wären dann jedoch geeignet, erforderlich und angemessen.
Bollmann (SPD): Selbstverpflichtung den Internetverkehr auf Urheberechtsverletzungen hin überwachen müssen – und genau dies scheint die Bundesregierung mit ihrem Warnhinweismodel auch anzustreben. Das wäre aus meiner Sicht verfassungs- und europarechtlich nicht haltbar und käme einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gleich. Allerdings hat das EU-Parlament die Möglichkeit, den europäische Gerichtshof anzurufen und das Abkommen prüfen zu lassen.
Bin ich jetzt schlauer? Hm, nicht wirklich. Festzuhalten ist aber, dass Herr Bollmann mehr Gefahrenpotential bei ACTA benennt („Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“) als Frau Fischbach. Andererseits führt diese einen interessanten Gedanken ein, in dem sie anregt, vielleicht grundsätzlich zu überprüfen, ob unsere Rechtsordnung den Erweiterungen unserer Realität stand hält („Will die Mehrheit dies nicht, müssen wir uns grundlegende Gedanken über das Urheberrecht vor dem Hintergrund moderner Medien machen.“).
Ich persönlich finde, dass mir ACTA von denen, die es beschließen sollen, bisher zu wenig erklärt wurde. Natürlich freue ich mich über die verschiedenen Anonymous-Videos und bin froh, dass die MdBs meines Wahlkreises mir geantwortet haben. Doch wenn ich lese, dass seit knapp sechs Jahren hinter größtenteils geschlossenen Türen über ein Gesetz beraten wurde, das mich vielleicht direkt und unmittelbar massiv betrifft, kommen bei mir ungute Gedanken und Gefühle auf.
In Hinterzimmern unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden nur selten Beschlüsse gefasst, die denen zugute kommen, die vor der Tür warten müssen. Es liegt aber auch an uns, Einlass in diese Zimmer zu verlangen. Jeder von uns kann seinen Abgeordneten eine Mail schreiben. Das dauert ziemlich genau sieben Minuten, samt Recherche der Mailadresse. Länger also als Du, werter Leser, mit diesem Artikel schon zugebracht hast.
Wenn Du willst, kannst Du gerne meine drei Fragen guttenbergen. Kein Problem. Ich verlange dafür keine Verwertungsgebühr, freue mich aber natürlich über jede Erwähnung und Verbreitung dieses Artikels.
Ich weiß noch nicht, ob „ACTA“ im Licht der Öffentlichkeit wirklich ein Sargnagel für unsere Informationsdemokratie ist. Ich weiß nur, dass ich mehr Licht brauche, um klar zu sehen. Und es liegt (auch) an uns Bürgern, diejenigen das Licht einschalten zu lassen, denen wir ihre Stromrechnung bezahlen.
Und solange noch nicht alles illuminiert ist, gilt für mich stets:
im Zweifel für den Zweifel.
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