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Kölner Nacht der Schande: es ist komplex

09.01.2016 | 2 Kommentare

Es gibt nicht den einen Grund zu dem was in der „Kölner Nacht der Schande“ passiert ist, auch wenn es sich viele das anders wünschen, um diesen als Legitimierung ihrer jeweiligen Weltsichten und Ressentiments zu nutzen.

Wir erleben hier auch kein völlig neues oder bisher völlig unbekanntes Verhalten von Straftätern. Und es ist ebenso wenig prototypisch für irgendeine Normalpopulation.

Wir haben am Ende der Kette das Versagen der Polizei. Gemeint ist nicht der einzelne Polizist vor Ort (sollte dies anders sein, sollten entsprechende Disziplinarverfahren folgen), sondern ein Versagen der Polizei-Einsatzführung. Zu wenige Polizisten wurden an jenem Abend allein gelassen, mit unklaren Einsatzbefehlen und verbesserungswürdiger Ausrüstung. Polizeikontingente wurden weder präventiv noch bedarfsbezogen abgerufen. Wieso? Das ist derzeit unklar – sei es aus politischem Willen, sei es aus schlichter Unfähigkeit, sei aus einer Verschränkung beider Aspekte. Wir hatten das schon in Köln. Es ist beschämend für die Domstadt, wobei wir nicht vergessen dürfen, dass die Polizei am Ende der Ereignisse steht, und eben nicht die Täter sind, oder diese legitimieren.

Derzeit scheint es sich um ca. 60-90 Täter gehandelt zu haben, während weitere um die 800 Personen auf der Domplatte waren. Zivilcourage war Fehlanzeige. Zum einen ist dies psychologisch zu erwarten – „Diffusion der Verantwortung“ beschreibt das Phänomen dass ich umso weniger helfe, desto mehr Menschen zugegen sind – zum anderen bleibt ein fahler Nachgeschmack: haben wir als Gesellschaft nicht mehr Mut? Wieso schützen wir nicht Frauen vor sexueller Gewalt? Ich spreche dabei nur über Köln im Moment, verstehe aber, wenn einige versuchen, diese Frage auf das generelle Problem sexueller Gewalt zu erweitern.

Sexuelle Gewalt, egal ob gegen Frauen oder Männer, und egal ob von Frauen oder Männern als Täter, wird immer noch relativiert, verharmlost, ausgeblendet. Das ist falsch. Dies ist ein Teil der Problems der „Kölner Nacht der Schande“, das nun offen wurde.

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Andere versuchen nun zu betonen, dass die Täter mehrheitlich Muslime waren, und sich daraus die Frauen- und Demokratiefeindlichkeit speise. Der Islam sei das Problem. Das ist natürlich Unsinn. Gleichwohl gibt es auch unter Islamgläubigen eine Subgruppe, die ihre Religion als Rechtfertigung für Freiheitsfeindlichkeit gebraucht. Es ist weder eine Mehrheit der Muslime in Deutschland, noch wird diese Haltung von den Islamoffiziellen in Deutschland unterstützt. Und trotzdem: man kann den Islam für diese Zwecke gebrauchen. Und Nein, man muss nicht dauernd betonen, welche Religionen dafür noch genutzt werden können.

Dann wird die Jugendlichkeit der Täter betont. Jugenddelinquenz? Mehrfachstraftäter mit „milden“ Strafen? Auch nicht neu. Selbst das „Antanzen“ ist nicht neu – ebenso wie die Bildung von „Banden“ – spontanen und feststehenden zur Verübung von Straftaten. Der Schrei nach neuen, härteren Strafen ist ein verlogener Reflex, um das Problem nicht strukturell angehen zu müssen. Wir haben ein Jugendstrafrecht, das einen pädagogischen Ansatz hat und ein Erwachsenenstrafrecht, das empfindliche und harte Strafen vorsieht. Doch wir wenden unseren Rechtsstaat nicht konsequent an. Wieso? Weil wir seit Jahren bis Jahrzehnten die Fachkräfte in Kinder- und Jugendhilfe allein lassen. Wir haben zu wenig Personal in den Jugendämtern, zu wenig Staatsanwälte, zu wenig Richter. Jugendliche wissen bei der Verhandlung nach 6-12 Monaten meist gar nicht mehr, worum es überhaupt bei der Tat ging. Alle Fachkräfte wissen das. Alle Politiker sehen das – und gehen es nicht an, weil es Geld kosten würde. Viel Geld. Da ist es leichter nach höheren Strafen und Videoüberwachung zu schreien, wohlwissentlich, dass beides nicht nützt, solange man die Judikative und die Jugendhilfe nicht befähigt, zeitnah und nachhaltig zu handeln.

Und die Flüchtlinge? Müssen wir jetzt nicht sehen, wen wir uns da ins Land geholt haben? Pff. Wir haben derzeit keine Fakten, wieviele Flüchtlinge überhaupt in Köln beteiligt waren. Aber der Wunsch nach Sippenhaft ist groß. Damit tut man nur den Tätern einen Gefallen, nämlich sie ihrer Individualverantwortung zu entheben – um dafür populistisch nach Obergrenzen für Flüchtlingskontingente zu schreien. Das wird sich ändern, spätestens wenn wir wieder die Kinderleichen an den Stränden des Mittelmeeres sehen werden – aber bis dahin erfreut es völkische Politiker und Wähler. Und auch der Gegenreflex der Pauschalverteidigung von Flüchtlingen ist falsch. Flüchtlinge sind Menschen, denen wir Asyl gewähren, weil sie in Not sind, nicht weil sie dankbar oder gute Menschen sind. Unter Flüchtlingen gibt es asoziale und kriminelle Personen. Sie gehören gemaßregelt und bestraft. Aber nicht ihre Mitbewohner.

Es ist nicht leicht zu akzeptieren: aber den einen Grund zu „Kölner Nacht der Schande“ gibt es nicht. Wir haben viel zu tun!

2 Kommentare

  1. Das beste, was ich bisher zum Thema gelesen habe.
    „Schrei nach neuen, härteren Straftaten“ soll sicher heißen „… Strafen“?

  2. Guter, sachlicher Text, der eigentlich alle Aspekte aufgreift; bis auf einen, den ich auch in den meisten anderen Artikeln zum Thema vermisse:
    Die enthemmende Wirkung des Alkohols. Sicher, das ist auch wieder nur ein Teilaspekt, der nicht alles erklärt und schon gar nichts entschuldigt. Aber schon interessant, dass über die urdeutsche Silvester-„Kultur“ des sich-hemmungslos-zulaufen-lassen gar nicht diskutiert wird, ganz im Gegensatz zur Herkunft der Täter.