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Tod im Internet

01.07.2012 | 0 Kommentare

Eine Premiere für meinen Blog. Ein Journalistenkollege, Tobias Winkler mit Namen, stellt seine laufende Untersuchung zum Thema „Sterben 2.1“ vor – ich freue mich sowohl über Rückmeldung darüber, wie ihr den Artikel findet, als auch zu der Frage, ob es hier öfter einmal Gastbeiträge geben sollte – ihr könnt mir dazu auch mailen!

So, und nun übergebe ich das Wort an Tobi – und stelle noch kurz fest, dass die folgenden Ausführungen nicht notwendigerweise meine Meinung wiedegeben – jetzt, aber nix wie los:

Was passiert mit all unseren Daten, die wir alltäglich im Mitmach-Internet veröffentlichen und hinterlassen, wenn wir sterben? Was macht das Netz mit Tod, Trauer und Testamenten? Wie können wir Einfluss auf unser „Online-Leben nach dem Tod“ nehmen?

Eine aktuelle Umfrage der Uni Münster fragt nach den Perspektiven und Herausforderungen, vor die uns unser Leben in „Digitalien“ im Kontext des Todes stellt. Denn das Internet vergisst nie, das formulieren Kommunikationsexperten, Datenschützer und Medienjournalisten allerorts. Aber gerade das kann uns „unsterblich“ machen – im negativen wie im positiven Sinne.

Die Experten mahnen, wollen uns dafür sensibilisieren, dass unsere Daten im World Wide Web „ewig“ existieren – gespeichert bei wenigen, globalen „Datenkraken“ wie etwa Google oder Facebook. Dennoch präsentieren wir in den sozialen Netzwerken des Web 2.0 weitgehend freizügig unsere multimediale Biografie. Heißt das, wir suchen im Netz wirklich, wie oft behauptet, nach „15 Minuten Ruhm“ – oder dürsten wir gar nach (medialer) „Unsterblichkeit“? Eine alternative Antwort wäre: Wir machen uns einfach keine Gedanken, was mit unseren multimedial abgebildeten (Auto-)Biografien passiert, wenn wir sterben.

Allerdings stellt sich die Problematik der Vergesslichkeit des „ewigen“, interaktiven Datenspeichers Internet dann finaler denn je: Wie können wir unser digitales Erbe regeln? Was soll gelöscht werden, was soll bleiben, was soll ein Anderer für uns nach unserem Tod verwalten? Mit diesen Fragen nach unserem digitalen Erbe ist irgendwann zwangsläufig jeder von uns Internetnutzern konfrontiert – oder aber unsere Hinterbliebenen. Denn wenn wir zu Lebzeiten nicht darüber nachdenken, unser digitales Erbe in einer Art Testament zu regeln, stellen wir unsere Hinterbliebenen vor die Herausforderung, dies „in unserem Sinne“ zu tun.

Wie trauern wir – online? (Quelle: Tobias Winkler)

Fest steht: Wenn wir sterben, hinterlassen wir unsere multimedialen Spuren im „ewigen“ Datennetz. Dort können sie entweder unentdeckt lagern wie das Skelett eines Urmenschen in unerreichbaren Erdschichten oder sie können weiterhin Teil des (Online-)Diskurses unserer Angehörigen und Freunde sowie unserer Bekannten und Netzkontakte sein. Wir hinterlassen nach unserem Tod also nicht nur unser finanzielles Vermögen und materielle Dinge. Das Leben in der Parallelwelt „Digitalien“ schafft uns ein vollkommen neues, soziales Vermächtnis: E-Mail-Accounts, Publikationen in Weblogs oder auf eigenen Websites sowie Profile in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, MySpace oder YouTube bilden unsere (Auto-)Biografie multimedial ab – und können uns gewissermaßen im „ewigen“ Dialog unserer Hinterblieben und Nachkommen „unsterblich“ präsent machen.

Dass dies von einigen von uns durchaus erwünscht erscheint, zeigen die „virtuellen Friedhöfe“, die sich seit einigen Jahren auch in Deutschland entwickeln. Denn auf diesen gedenken Hinterbliebene auf interaktiv-vernetzten, biografischen Profilen ihrer Verstorbenen, trauern um diese und erinnern sich gemeinsam an sie – egal, ob der Verstorbene das wollte oder nicht. In den USA und Großbritannien hat sich diese virtuelle Trauer- und Gedenkkultur bereits seit Mitte der 90er Jahre etabliert; in Deutschland steckt sie derzeit hingegen noch im Anfangsstadium.

Es gibt zahlreiche Angebote für von uns geliebte und geschätzte, gestorbene Menschen – aber auch entsprechende für von uns geschiedene Haustiere. Der, zumindest in der medialen Berichterstattung, prominenteste virtuelle Friedhof unter den deutschen Anbietern, Stayalive, ruft gar die Lebenden auf, ihre eigene Online-Gruft bereits zu Lebzeiten zu gestalten. So könne man sichergehen, wie das eigene Denkmal gestaltet sei, sagte Mitbegründer und Ex-Focus-Chefredakteur Helmut Markwort zum Start des Angebots im Herbst 2010.

Was passiert mit mir nach dem Tod – im Internet? (Quelle: Tobias Winkler)

Die von ihm vesprochene „Unsterblichkeit“ unserer multimedial abgebildeten Biografie oder gar Identität geht gewissermaßen über einen abstrakten Raum der Hoffnung in einem unbekannten, religiösen, „göttlichen“ Jenseits und die reine Erinnerung unserer Kinder und Freunde hinaus. Aber wie stehen wir zu diesem neuen medialen „Tor in die Unsterblichkeit“: Möchten wir mit Gedenkprofilen in sozialen Netzwerken, durch Gedenkblogs oder Gedenkhomepages an unsere Verstorbenen erinnern? Oder lieber auf einem virtuellen Friedhof? Das mag uns im Kollektiv bei der Trauer helfen, uns aber auch in dieser verhaften lassen. Heißt das, wir müssen unser Online-Leben geregelt abschalten (lassen)? Oder sollten wir es gerade für unsere Nachwelt bewahren? Die Herausforderung, den digitalen Nachlass im Sinne unserer Verstorbenen und Hinterbliebenen zu regeln, beginnt gerade erst.

NEHMEN SIE JETZT AN DER UMFRAGE TEIL –

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http://www.unipark.de/uc/IFK/6600/

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