Eine Legion von Bierbäuchen, frustrierten Endvierzigerinnen, hyperaktiven Kindern und Hartz-IV-Adel – so stellt sich Deutschland im Türkeiurlaub dar. Beobachtungen von der All-Inclusive-Front.
Vorweg: Eigentlich habe ich wenig Recht zu sticheln; zum dritten Mal bin ich in dasselbe 4-Sterne-Landeskategorie-Hotel in die Türkei geflogen. Sowas wollte ich eigentlich nie machen. Mehrfach in dasselbe Hotel. Vielleicht werde ich mit Anfang Dreissig dann doch langsam behäbig. Oder nehme mein genetisches Erbe an. Und ausserdem weiß ich ja, was mich hier erwartet. Und fahre trotzdem wieder hin. Und auch deswegen. Wahrscheinlich als späte Erinnerung an meinen Deutsch-LK, der mir das Thema „Ästhetik des Häßlichen“ schon früh nahe gebracht hat. Sie sind alle hier: die Klisches eines degenerierten Michel, der einst zuerst seine Schwerter gegen die D-Mark eintauschte und nun als letzter
Hüter des ungeliebten Euro kämpft – gegen wen auch immer.
Die Türkei – zwischen Kommerz und Kultur. Quelle: privat
„Halloooooooooo People, Dartspielen!“ reisst mich der Ruf des Animateurs aus meinen Gedanken. Seine Stimmgewalt verrät ihn als Nachfahre oder Verwandten des Muezzins aus, dessen Gebetsmahnung ebenso eindringlich, aber weniger aufdringlich, erklingt – und für den deutschen Touristen zudem zu Uhrzeiten, da die Pool-Beschallung jedes andere Geräusch überdeckt. Das hoteleigene Spaßmacher-Team kümmert sich besonders gerne um die weiblichen Urlauberinnen – im Einklang mit der Freiheitsstatue vor allem um die Müden, Verzweifelten, Gestrandeten und Pubertierenden. Derer gibt es hier leider viele. Ihre Kleidung verstört – ich bin überzeugt – selbst einen Kik-Einkaufsleiter: Modesünden bedecken die unbedeckten Reste ihrer Weiblichkeit – eng und neon ist wohl immer Trend der Saison – unabhängig von der Saison. 15 bis 20 Jahre. Solange hat der H4-Adel von der Geschlechtsreife bis zum Beginn des körperlichen Verfalls. Wer will Ihnen die Nutzung dieser Zeitspanne verwehren? (Ich würde ihn wählen!).
Doch es geht noch schlimmer: Russinnen. Sie sind froh, endlich einmal Sonne erleben zu dürfen, versinkt ihr Land doch in politischer Finsternis und sozialer Kälte, und kleiden sich wie Halle Berry in einem Bond-Film. Doch sie vergessen: sie haben weder den Stil, noch die Ausstrahlung oder auch nur den Teint der Schauspielerin. Dafür werden um so höhere High Heels, dunkle Sonnebrillen und Röcke getragen, die diesen Namen hier nur erhalten, da sie für Gürtel zu billig aussehen. Erstmal erschließt sich mir, wie die Burka als Zierde einer Frau erscheinen kann.
Anpassung an deutsche Wünsche muss kein Landesverrat sein – skurril ist es trotzdem! Quelle: privat
„Katastroph!“ kommentiert ein Spaßschreier – sibillisch, vielsagend und verschmitzt lächelnd. Er hat einen Stamm von zwanzig Urlaubs-Profis am Pool um sich versammelt. Sie folgen ihm, singen ihm gerne nach und lassen sich von Nachgesang über Nachrufen wohl bis zum Abgesang führen – deutsche Geschichte bricht sich immer ihren Weg.
Jeder Türke hier spricht deutsch und zwar besser als die ethnisch Verbundenen in Michelland. Und zudem Russisch und Englisch. Das Eintauchen in fremde Kulturen und Sprachen wird in der Türkei nicht als Assimilation verunglimpft. Ein Porträt von Staatspapa Atatürk samt Zitat zeigt, dass er dies verstand als er den Tourismus stärkte. Vielleicht sollte sich Erdogan zumindest hier Anleihen für seinen nächsten Deutschlandbesuch holen?
Dartspiel als Teil deutscher Katharsis
Quelle: privat
„Aplauuuuuuuuuuuus,“ klingt es derzeit von der Dartscheibe. Und Männer klatschen als gäbe es kein Morgen. Freuen sich, anerkennen zu können und anerkannt zu werden. Eine Woche im Jahr können sie hier Helden sein, eine Woche im Jahr Helden machen, fernab einer Wirtschafts- und Politikwelt, die mit ihren Einzelschicksalen schon lange nichts mehr zu tun hat. Die viel unmoralischer und verlogener ist, als es ein Pauschalurlaub je sein könnte. Denn zwar schmeckt hier der Wein nach Essig und der Wodka nach Frostschutzmittel, doch niemand behauptet etwas anderes. Und deswegen trinke ich Beides hier gern.
„Aber hallo!“ kommt eine neuerliche Warnung des Spaßguerillero – seine Standardansage, während 80er-Jahre-Trivial-Pop-Trash die Szenerie in die berühmte Brückenszene aus „Apocalypse Now“ einfärbt. Und wie die Brücke im Film, so fällt hier eine Frau „Mutti“ ins Wasser des Pools. Mit allem was dazu gehört: Mutti wehrt sich, halbherzig. Vatti lacht, schadenfroh. Die Menge johlt. Politisch ganz unkorrekt. Echt. Ein Refugium der Volksseele, die hier noch ungeniert sie selbst sein darf, raucht und trinkt. Und von keiner Gutmenschen-Bürokratur entwürdigt wird.
Für die Türkei gilt zu hoffen, dass der EU-Anschluss noch lange auf sich warten läßt.
Und für all diese Urlaubs-Exilanten.
Und für mich!
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